Dazu hat doch bereits Luther selbst das Nötige gesagt. Ich zitiere ausführlich:
So habe ich hier Röm. 3, 28 sehr wohl gewußt, daß im lateinischen und griechischen Text das Wort »solum« nicht stehet, und hätten mich solches die Katholiken nicht zu lehren brauchen. Wahr ists, diese vier Buchstaben »sola« stehen nicht drinnen. Diese Buchstaben sehen die Eselsköpfe an, wie die Kühe ein neues Tor, sehen aber nicht, daß die Absicht des Textes gleichwohl das »sola« in sich hat, und wo mans klar und deutlich verdeutschen will, so gehöret es hinein. Denn ich habe deutsch, nicht lateinisch noch griechisch reden wollen, da ich mir beim Übersetzen deutsch zu reden vorgenommen hatte. Das ist aber die Art unserer deutschen Sprache: wenn sie von zwei Dingen redet, deren man eines bejaht und das andere verneint, so gebraucht man das Wort »solum« = »allein« (nur) neben dem Wort »nicht« oder »kein«. Z.B. wenn man sagt: »Der Bauer bringt allein (nur) Korn, und kein Geld«; »Nein, ich hab wahrlich jetzt nicht Geld, sondern allein (nur) Korn«; »Ich hab allein (nur) gegessen und noch nicht getrunken«; »Hast du allein (nur) geschrieben, und (es) nicht durchgelesen«? Und dergleichen auf unzählige Weise im täglichen Gebrauch.
In diesen Redewendungen allen – wenn es gleich die lateinische oder griechische Sprache nicht tut, so tut es doch die deutsche – ist es ihre Art, daß sie das Wort »allein« (nur) hinzusetzt, auf daß das Wort »nicht« oder »kein« desto vollständiger und deutlicher sei. Denn obwohl ich auch sage: »Der Bauer bringt Korn und kein Geld«, so klingt doch das Wort »kein Geld« nicht so vollständig und deutlich, als wenn ich sage: »Der Bauer bringt allein (nur) Korn und kein Geld«; und hilft hier das Wort »allein« (nur) dem Wort »kein« so viel, daß es eine vollständige deutsche, klare Rede wird. Denn man muß nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man deutsch reden soll, wie diese Esel tun; sondern man muß die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den einfachen Mann auf dem Markt danach fragen, und denselben auf das Maul sehen, wie sie reden, und danach übersetzen, so verstehen sie es denn, und merken, daß man deutsch mit ihnen redet.
[...] Das sei vom Dolmetschen und der Art der Sprache gesagt. Aber nun habe ich nicht allein der Sprache Art vertrauet und gefolgt, daß ich Römer 3, 28 »solum« (»allein«) hinzugesetzt habe; sondern der Text und die Absicht des Paulus fordern und erzwingens mit Gewalt. Denn er behandelt ja daselbst das Hauptstück christlicher Lehre, nämlich daß wir durch den Glauben an Christus, ohne alle Werke des Gesetzes, gerecht werden, und schneidet alle Werke so ganz ab, daß er auch sagt: des Gesetzes (das doch Gottes Gesetz und Wort ist) Werke helfen nicht zur Gerechtigkeit, und setzt zum Exempel Abraham, daß derselbe so ganz ohne Werke gerecht geworden sei. So daß auch das höchste Werk, das dazumal neu von Gott vor und über allen andern Gesetzen und Werken geboten ward, nämlich die Beschneidung, ihm nicht zur Gerechtigkeit geholfen habe. Sondern er sei ohne die Beschneidung und ohne alle Werke gerecht geworden durch den Glauben, wie er Kap. 4, 2 sagt: »Ist Abraham durch Werke gerecht geworden, so mag er sich rühmen, aber nicht vor Gott.« Wo man aber alle Werke so ganz abschneidet, da muß ja die Meinung sein, daß allein der Glaube gerecht mache. Und wer deutlich und dürre von solchem Abschneiden der Werke reden will, der muß sagen: allein der Glaube und nicht die Werke machen uns gerecht. Das erzwinget die Sache von selbst neben dem Charakter der Sprache.
Ja, sagen sie, es klingt ärgerlich, und die Leute lernen daraus verstehen, daß sie keine guten Werke zu tun brauchen. Lieber, was soll man sagen? Ists nicht viel ärgerlicher, daß Paulus selbst nicht bloß sagt: »allein der Glaube«, sondern sagts noch deutlicher, und stößt dem Faß den Boden aus und sagt: »ohne des Gesetzes Werke«? und Gal. 2, 16: »Nicht durch die Werke des Gesetzes«, und dessen viel mehr an andern Stellen. Denn das Wort »allein der Glaube« möchte noch einen umdeutenden Zusatz finden; aber das Wort »ohne Werke des Gesetzes« ist so grob, ärgerlich, schändlich, daß man hier mit keinem Zusatz abhelfen kann. Wie viel mehr möchten hieraus die Leute lernen, keine guten Werke zu tun, da sie mit so dürren, starken Worten von den Werken selbst predigen hören: »kein Werk«, »ohne Werke«, »nicht durch Werke«. Ist nun das nicht ärgerlich, daß man »ohne Werke«, »kein Werk«, »nicht durch Werke« predigt, was sollts denn ärgerlich sein, so man dies »allein der Glaube« predigte?
Und was noch ärgerlicher ist: Paulus verwirft nicht bloß schlichte, allgemein übliche Werke, sondern die des Gesetzes selbst. Daran möchte wohl jemand sich noch mehr ärgern und sagen, das Gesetz sei verdammt und verflucht vor Gott, und man solle eitel Böses tun, wie die taten Röm. 3, 8: »Laßt uns Böses tun, auf daß es gut werde«, wie auch ein Rottengeist zu unserer Zeit anfing. Sollte man um solcher Ärgernisse willen des Paulus Worte verleugnen, oder nicht frisch und frei vom Glauben reden? Lieber, Paulus und wir wollen eben solch Ärgernis haben, und lehren um keiner anderen Ursache willen so stark wider die Werke, und treiben allein auf den Glauben, daß die Leute sich ärgern, stoßen und fallen sollen, damit sie lernen können und wissen, daß sie durch ihre guten Werke nicht fromm werden, sondern allein durch Christi Tod und Auferstehen. Können sie nun durch gute Werke des Gesetzes nicht fromm werden, wie viel weniger werden sie durch böse Werke und ohne Gesetz fromm werden? Darum heißt die Schlußfolgerung nicht: gute Werke helfen nicht, darum helfen böse Werke, ebenso wenig wie: die Sonne kann dem Blinden nicht helfen, daß er sehe, darum muß ihm die Nacht und Finsternis helfen, daß er sehe.
Mich wundert aber, daß man sich in dieser offenbaren Sache so sperren kann. Sage mir doch, ob Christi Tod und Auferstehen unser Werk sei, das wir tun, oder nicht? Es ist ja nicht unser Werk, noch irgendeines Gesetzes Werk. Allein Christi Tod und Auferstehen macht uns ja frei von Sünden und fromm, wie Paulus Röm. 4, 25 sagt: »Er ist gestorben um unserer Sünde willen und auferstanden um unserer Gerechtigkeit willen.« Weiter sage mir: welches ist das Werk, damit wir Christi Tod und Auferstehen fassen und behalten? Es muß ja kein äußerlich Werk, sondern allein der ewige Glaube im Herzen sein; derselbe allein, ja ganz allein und ohne alle Werke fasset solchen Tod und Auferstehen, wo er durchs Evangelium gepredigt wird. Was ists denn nun, daß man so tobet und wütet, verketzert und verbrennet, so der Kern der Sache selbst klar daliegt und beweist, daß allein der Glaube Christi Tod und Auferstehen fasse, ohne alle Werke, und derselbe Tod und Auferstehen sei unser Leben und Gerechtigkeit? So es denn offenbar so ist, daß allein der Glaube uns solch Leben und Gerechtigkeit bringet, fasset und gibt, warum soll man denn nicht auch so reden? Es ist nicht Ketzerei, daß der Glaube allein Christus fasset und das Leben gibt; aber Ketzerei muß es sein, wer solches sagt oder redet. Sind sie nicht toll, töricht und unsinnig? Die Sache bekennen sie als recht, und strafen doch die Rede von derselben Sache als unrecht. Nichts kann zugleich recht und unrecht sein.
Auch bin ichs nicht allein noch der erste, der da sagt: allein der Glaube mache gerecht. Es haben vor mir Ambrosius, Augustin und viele andere gesagt. Und wer Paulus lesen und verstehen soll, der muß wohl so sagen und kann nicht anders; seine Worte sind zu stark und leiden kein, ja gar kein Werk. Ists kein Werk, so muß es der Glaube allein sein. O wie sollt es eine so ganz feine, bessernde, unärgerliche Lehre sein, wenn die Leute lernten, daß sie neben dem Glauben auch durch Werke fromm werden könnten! Das wäre so viel gesagt, daß nicht allein Christi Tod unsere Sünde wegnähme, sondern unsere Werke täten auch etwas dazu. Das hieße Christi Tod fein geehret, daß unsere Werke ihm hülfen und könnten das auch tun, was er tut, auf daß wir ihm gleich gut und stark wären. Es ist der Teufel, der das Blut Christi nicht ungeschändet lassen kann.
Weil nun die Sache im Kern selbst fordert, daß man sage: »allein der Glaube macht gerecht«, und es unserer deutschen Sprache Art (ist), die auch lehrt, solches so auszudrücken, ich dazu der heiligen Väter Exempel habe, und auch die Gefahr der Menschen dazu zwingt, daß sie nicht an den Werken hängenbleiben und den Glauben verfehlen und Christus verlieren, insbesondere zu dieser Zeit, da sie von so lange her der Werke gewohnt, und mit Gewalt davon gerissen werden müssen, so ists nicht allein recht, sondern auch hoch vonnöten, daß man aufs allerdeutlichste und vollständigste heraussage: allein der Glaube ohne Werke macht fromm. Es reuet mich (sogar), daß ich nicht auch dazugesetzt habe: »alle« und »aller«, also: »ohne alle Werke aller Gesetze«, so daß es voll und rund heraus gesprochen wäre. Darum solls in meinem Neuen Testament bleiben, und sollten alle Papstesel toll und töricht werden, so sollen sie mirs nicht herausbringen.
[Martin Luther: Ein Sendbrief vom Dolmetschen (1530). In: Luther deutsch. Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart. Hrsg. von Kurt Aland. Göttingen (Vandenhoeck und Ruprecht) 1991. Bd. 5, S. 84-92.]