Die Bedingungen, die man erfüllen muss, um in einer konservativen Brüdergemeinde (vor allem AV, aber auch Teile von BF und FB) am Brotbrechen (Abendmahl) teilnehmen zu können, gelten im Allgemeinen als streng. Man muss sich einem „Zulassungsgespräch“ mit mehreren Brüdern unterziehen, in dem festgestellt werden soll, ob man (1) bekehrt, (2) „rein in der Lehre“, (3) „rein im Wandel“ und ggf. (4) „rein in seinen Verbindungen“ ist. Doch wie kann das zuverlässig überprüft werden?
Auf die Frage „Bist du bekehrt?“ kann man noch mit Ja oder Nein antworten und ggf. eine Bekehrungsgeschichte erzählen. Dagegen ist eine Frage wie „Bist du rein in der Lehre?“ ziemlich sinnlos, da wohl kaum jemand seine eigenen Lehrüberzeugungen als „unrein“ oder gar als „Irrlehren“ bezeichnen würde. Um eine wirklich verlässliche Antwort auf diese Frage zu erhalten, müsste man den „Prüfling“ also zu einer möglichst umfassenden Anzahl von konkreten Lehren befragen oder ihm eine Liste von (richtigen oder falschen) Lehren vorlegen und ihn dazu Stellung nehmen lassen. Das geschieht in solchen Gesprächen aber in der Regel nicht, da eine derartige Zusammenstellung zentraler Lehren ja eine Art Glaubensbekenntnis wäre, was in konservativen Brüdergemeinden strikt abgelehnt wird (bekanntlich soll nur die Bibel gelten und kein von Menschen aufgestelltes Glaubensbekenntnis). In der Praxis führt das dazu, dass die Prüfung der Lehre eher oberflächlich bleibt, weil sich zur „Lehre der Bibel“ wohl jeder „Prüfling“ ohne Einschränkungen bekennen kann.
Ähnlich sieht es mit der „Reinheit im Wandel“ aus. Auch hier ist eine Ja/Nein-Frage sinnlos, da von einem Gläubigen, der am Brotbrechen teilnehmen will, im Allgemeinen nicht anzunehmen ist, dass er selbst seinen „Wandel“ als „unrein“ bezeichnen würde. Wenn man wirklich einigermaßen Gewissheit haben wollte, müsste man also auch hier konkrete Fragen stellen, und zwar am besten ex negativo, indem man dem Betreffenden bestimmte „Unreinheiten“ vorlegen würde. Dabei dürfte man sich nicht auf Sexuelles beschränken, sondern müsste auch andere Sünden wie Hass, Habsucht, Unehrlichkeit usw. einbeziehen. Da die Zahl möglicher Sünden aber prinzipiell unbegrenzt ist, könnte eine solche Aufzählung nie vollständig sein. Letzte Sicherheit hätte man also auch dann nicht.
Mich wundert nun Folgendes: Obwohl besonders die „geschlossenen“ Brüder ihre Zulassungsbedingungen in der Theorie so streng formulieren, geben sie sich in der Praxis doch mit einer eher oberflächlichen Prüfung zufrieden, ohne diesen Widerspruch überhaupt zu bemerken. Ich weiß nicht, ob mein eigenes Zulassungsgespräch repräsentativ ist, aber es lief ungefähr so ab:
Zu Punkt (1): „Dass du ein Kind Gottes bist, daran haben wir überhaupt keinen Zweifel. Du hast dich letztes Jahr taufen lassen“ usw.
Zu den Punkten (2) und (4): Anhand einer Broschüre von Paul Grobéty wurde ich ausführlich über das Verständnis der AV vom „Tisch des Herrn“ belehrt, aber ich wurde nicht einmal ausdrücklich gefragt, ob ich ihm zustimme.
Zu Punkt (3): „Es ist uns eigentlich peinlich, und wir glauben es auch nicht, aber wir müssen dich doch noch fragen: Hast du irgendwelche unreinen Verbindungen mit Mädchen?“
Kann man auf diese Weise wirklich feststellen, ob jemand bekehrt, „rein in der Lehre“, „rein im Wandel“ und „rein in seinen Verbindungen“ ist? Ich hätte im Prinzip ein nicht wiedergeborener Bekenner sein können, der die Gottheit Christi leugnet und heimlich homosexuelle Kontakte pflegt, und wäre trotzdem zugelassen worden, ohne einmal lügen zu müssen. Was entschied, war letztlich wohl der allgemeine Eindruck; man traute mir diese Dinge (zu Recht!) nicht zu, also fragte man auch nicht danach.
Was will ich mit alledem nun sagen? Dass die „Zulassungsprüfung“ strenger sein sollte? Nicht unbedingt. Zunächst einmal will ich nur sagen, dass es eine Illusion ist zu glauben, mit einem Gespräch dieser Art wirklich herausfinden zu können, ob jemand „rein“ ist. Dafür bräuchte man mindestens ein festgelegtes Glaubensbekenntnis und eine Art „Sündenregister“, das man Schritt für Schritt durchgehen und abhaken könnte (und selbst dann bliebe noch ein Rest von Unsicherheit). Wenn man das aber ablehnt, sollte man auch die Verwendung des Wortes „rein“ schnellstens aufgeben und sich nicht länger der Illusion hingeben, man sei „reiner“ als andere Gemeinden, die weniger strenge Bedingungen aufstellen.
Zusammengefasst: Wenn Theorie und Praxis so stark auseinanderklaffen, muss entweder die Praxis der Theorie angepasst werden (strengere Zulassungsprüfung) oder die Theorie der Praxis (realistischere Zulassungskriterien).
Wie seht ihr das?