Ewige Qualen

Bibelverständnis der Brüderbewegung in Theorie und Praxis

Ewige Qualen

Beitragvon Tobias am Do 11. Okt 2018, 17:23

Vor kurzem habe ich eine KZ-Gedenkstätte besucht. Der junge Mann, der uns über das Gelände führte, sagte einen Satz über die Inhaftierten, der mir noch lange nachgegangen ist: „Die hatten alle nichts getan.“

Naja, dachte ich so bei mir, nichts hatten die sicher nicht getan — aber zumindest nichts, womit sie KZ-Haft verdient hätten, darauf können wir uns in jedem Fall einigen.

Aber plötzlich durchzuckte mich der Gedanke: KZ-Haft halten wir auch als Christen völlig selbstverständlich für ungerecht und unmenschlich, aber verlangt die Bibel nicht von uns, die ewige Höllenstrafe für gerecht zu halten? Die Qualen des KZs hatten diese Leute angeblich nicht „verdient“, aber die ewige Qual in der Hölle sollen sie verdient haben?

Wenn die Bibel das tatsächlich lehrt (und ich bin noch nicht vom Gegenteil überzeugt), müsste uns das nicht eigentlich viel gleichgültiger und unsensibler gegenüber irdischen Qualen machen — etwa in dem Sinne: „Ja, die Qualen im KZ waren schrecklich, aber wenn die Leute nicht an Jesus glaubten, hatten sie das verdient, und in der Hölle wird es noch viel schlimmer kommen?“

Oder können wir für diesseitige und jenseitige Qualen wirklich komplett verschiedene Maßstäbe anwenden? In der Praxis scheinen wir das jedenfalls unbewusst zu tun ...

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Re: Ewige Qualen

Beitragvon Rüdiger am Fr 12. Okt 2018, 15:12

Tobias hat geschrieben:KZ-Haft halten wir auch als Christen völlig selbstverständlich für ungerecht und unmenschlich, aber verlangt die Bibel nicht von uns, die ewige Höllenstrafe für gerecht zu halten? Die Qualen des KZs hatten diese Leute angeblich nicht „verdient“, aber die ewige Qual in der Hölle sollen sie verdient haben?

Vorsicht, lieber Bruder! Das sind Fragen, die geradewegs in die Allversöhnungslehre führen!

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So spricht der HERR: Tretet auf die Wege, und sehet und fraget nach den Pfaden der Vorzeit, welches der Weg des Guten sei, und wandelt darauf; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Aber sie sprechen: Wir wollen nicht darauf wandeln. (Jeremia 6,16)
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Re: Ewige Qualen

Beitragvon Tobias am Mo 15. Okt 2018, 19:44

Rüdiger hat geschrieben:Vorsicht, lieber Bruder! Das sind Fragen, die geradewegs in die Allversöhnungslehre führen!

Nicht unbedingt! Deshalb hatte ich die Frage ja bewusst umgekehrt gestellt:

Wenn die Bibel das tatsächlich lehrt (und ich bin noch nicht vom Gegenteil überzeugt), müsste uns das nicht eigentlich viel gleichgültiger und unsensibler gegenüber irdischen Qualen machen?

Mit anderen Worten: Wenn wir (nach der Bibel) unvorstellbare Qualen im Jenseits für gerecht und notwendig halten sollen, haben wir dann überhaupt ein moralisches Recht, Grausamkeiten im Diesseits zu verurteilen?

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Re: Ewige Qualen

Beitragvon RChap am Mo 22. Okt 2018, 13:19

Rüdiger hat geschrieben:Vorsicht, lieber Bruder! Das sind Fragen, die geradewegs in die Allversöhnungslehre führen!

Es sind nicht die Fragen, die irgendwo hinführen - es sind die falschen unbiblischen Antworten bzw. Schlussfolgerungen aus den Antworten.

Wenn die Bibel das tatsächlich lehrt (und ich bin noch nicht vom Gegenteil überzeugt), müsste uns das nicht eigentlich viel gleichgültiger und unsensibler gegenüber irdischen Qualen machen?
Mit anderen Worten: Wenn wir (nach der Bibel) unvorstellbare Qualen im Jenseits für gerecht und notwendig halten sollen, haben wir dann überhaupt ein moralisches Recht, Grausamkeiten im Diesseits zu verurteilen?
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Die moralische Berechtigung für die Verurteilung von Grausamkeit ist in 2. Tim. 3,3 zu finden. Grausamkeit ist das Gegenteil von Gnade, die auch in der Umsetzung von Gerechtigkeit Christen in Wort und Tat immer kennzeichnen sollte ("euer Wort sei allezeit in Gnade, mit Salz gewürzt!"), denn noch ist Gnadenzeit und wir leben von der Gnade Gottes.

Auch der Herr Jesus hatte ein sensibles Herz gegenüber dem Jerusalem, das von dem Gericht ereilt werden sollte - während der Belagerung Jerusalems spielten sich grausame Szenen ab [wie in 2. Kön. 6,26 ff , nachzulesen bei Josephus]:

Lukas 19,41 ff hat geschrieben: Und als er sich näherte und die Stadt sah, weinte er über sie und sprach: Wenn auch du an diesem Tag erkannt hättest, was zum Frieden dient! Jetzt aber ist es vor deinen Augen verborgen. Denn Tage werden über dich kommen, da werden deine Feinde einen Wall um dich aufschütten und dich umzingeln und dich von allen Seiten einengen; und sie werden dich und deine Kinder in dir zu Boden werfen und werden in dir nicht einen Stein auf dem anderen lassen, dafür, dass du die Zeit deiner Heimsuchung nicht erkannt hast.

Das ist etwas, was mir auch zu hoch ist und was ich nicht erfassen kann - der Richter der Erde hat gleichzeitig solches Mitempfinden. Das ist "paradox" wie auch die Gottheit/Menschheit des Herrn und ein Geheimnis - aber die Schrift sagt es und es bedeutet, dass ich mir an Ihm ein Beispiel nehmen soll...

Auch in Jeremia 30, 14 ff. ist die Rede vom grausamen Gericht Gottes an seinem Volk - und Jeremia trauert in den Klageliedern über dieses Volk und ist zutiefst erschreckt:

Klg.2,12 ff hat geschrieben:"In Tränen vergehen meine Augen, mein Inneres glüht, meine Leber hat sich zur Erde ergossen wegen des Zusammenbruchs der Tochter meines Volkes, weil Kind und Säugling auf den Plätzen der Stadt verschmachten. Zu ihren Müttern sagen sie: "Wo ist Brot und Wein?", während sie wie tödlich Verwundete verschmachten auf den Plätzen der Stadt, während ihre Seele sich ergießt in den Schoß ihrer Mütter. Womit soll ich dir aufhelfen, womit dich vergleichen, Tochter Jerusalem? Was soll ich dir gleichstellen, damit ich dich tröste, du Jungfrau, Tochter Zion?...Sieh, HERR, und schaue, an wem du so gehandelt hast! Dürfen Frauen ihre Leibesfrucht essen, die liebevoll gepflegten Kinder? Dürfen im Heiligtum des Herrn Priester und Prophet erschlagen werden? Am Boden auf den Straßen liegen Kind und Greis; meine Jungfrauen und meine jungen Männer sind durchs Schwert gefallen. Erschlagen hast du sie am Tag deines Zornes, abgeschlachtet ohne Mitleid. Meine Schrecknisse hast du von allen Seiten herbeigerufen wie zu einem Festtag, und am Tag des Zornes des HERRN gab es keinen Entkommenen und Entronnenen: Die ich liebevoll gepflegt und großgezogen habe, mein Feind hat sie vertilgt."

Auch Hiob erlebt Gott so:

" In einen Grausamen verwandelst du dich mir, mit der Stärke deiner Hand feindest du mich an." Hiob 30, 21

Ich bin davon auch überfordert. Auf der einen Seite soll ich mitempfinden und Mitleid haben wie der Herr, mein menschliches Herz ist angesichts der Größe des Leids im Mitgefühl und Mitleid überfordert - auf der anderen Seite weiß ich: "Sollte der Richter der ganzen Erde nicht Recht üben?"

Wie sagte Hiob? "So habe ich denn meine Meinung mitgeteilt und verstand doch nichts, Dinge, die zu wunderbar für mich sind und die ich nicht kannte." Hiob 42,3

Wieviel mehr trifft das auf das jenseitige Gericht zu. Dennoch darf ich natürlich Fragen stellen! Hiob 42,4: "...Ich will dich fragen, und du sollst es mich wissen lassen!"
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Re: Ewige Qualen

Beitragvon Tobias am Sa 3. Nov 2018, 00:51

Vielen Dank, RChap! Das hilft mir schon mal ein Stück weiter.

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