Alles nur Stückwerk?

Bibelverständnis der Brüderbewegung in Theorie und Praxis

Alles nur Stückwerk?

Beitragvon schween am Di 29. Mär 2011, 21:38

Luther hat in 1.Kor 13,8-10 einen Begriff gewählt, der einen gewaltigen Irrtum in der Christenheit hinterlassen hat und meist dafür herhalten muss, wenn man seine eigene Meinung nicht prüfen und erschüttern lassen will. Was hat es biblisch also mit "Stückwerk" auf sich?

1.Kor 13,8-13 ist kein einfacher Abschnitt, denn im grieschischen Urtext scheint er sehr viel eindeutiger zu sein als es eine deutsche Übersetzung wiederzugeben vermag. Ein weiterer Grund, warum das Neue Testament nicht auf Deutsch sondern auf Griechisch inspiriert ist. Wir Deutschen sind allerdings so sehr von den Reformatoren geprägt, dass wir nicht immer bedenken, von welchen Hintergrund die Bibel berichtet.
Die Bibel ist nicht auf Deutsch inspiriert, Luther war kein Apostel Jesu Christi und Deutschland ist nicht das auserwählte Volk. Diese einfachen Fakten scheinen jedoch immer weniger Christen zu beachten und kommen so zu Fehlschlüssen.

Aber selbst wenn man kein Griechisch kann, kann man den Gebrauch der Wörter im Urtext unter den angegebenen Links selbst nachrecherchieren, in welcher biblischen Verwendung sie stehen:


Also: Das Wort "Stückwerk" (im Sinne von Mangelhaftem, Stümperhaftem) steht im Urtext nicht. Es steht "ek meros" (wörtlich: "aus Teilen") und es kommt außer in 1Kor 13,9.10.12 nur noch in 1Kor 12,27 vor.
Hier geht es drum, dass ein Ganzes aus vielen Teilen besteht. Aber die Teile sind in sich trotzdem genauso richtig, aber ergänzen sich zusammen zu einer großen Einheit:
1Kor 12: Alle Glieder zu einem Leib Christi.
1Kor 13: Alle Teiloffenbarungen zu einer vollkommenen Offenbarung.

Auch gibt es ein weiteres missverstandenes Wort in diesem Abschnitt, nämlich die sogenannte "Erkenntnis". In 1Kor 13,8-12a steht nicht Erkenntnis im Sinne von "verstehen, begreifen" (griech. "epignosis" und dessen Verb "epiginosko"), sondern lediglich Kenntnis im Sinne von "wissen, informiert sein über" (griech. "gnosis" und dessen Verb "ginosko").

Das griechische Wort "teleios" bedeutet Vollkommenes im Sinne von Ausgereift, Erwachsen, Fertig. Es wird übrigens neutestamentlich nie im Sinne der Wiederkunft verwendet.

1.Korinther 13,8ff lebt auch aus den gezeichneten Gegensätzen:
stückweises (Prophetie, [Er]Kenntnis) - Vollkommenes
Unmündiger (im Sinne von Kind, Unreifer) - Mann
rätselhaft wie im Spiegel - klar von Angesicht zu Angesicht
aufhörende Geisteswirkungen - bleibende Geisteswirkungen

Wenn man das alles beachtet und den Text mal Stück für Stück untersucht, kann man erkennen:
1Kor 13,8a Die Liebe hört niemals auf, weil sie das Wesen des ewig seinenden Gottes ist.
1Kor 13,8b Weissagungen werden weggetan werden
1Kor 13,8c Sprachen(rede) wird von selbst abklingen
1Kor 13,8d Wissen, im Sinne von Neuoffenbarungen Gottes, wird weggetan werden
1Kor 13,9 Denn wir weissagen und wissen nur Teile des Ganzen
-> wir = zur Zeit des Paulus, Korintherbrief gegen 55 n.Chr. als einer der ersten Briefe geschrieben
1Kor 13,10 das Fertige löst die Wegnahme des Teilweisen aus
-> Die Offenbarungen Gottes Enden mit dem Abschluss der Bibel, siehe auch Offb 22,18-19.
1Kor 13,11 1. bildlicher Vergleich: Vom Unreifen zum Reifen
-> siehe dazu:
-> Unmündigsein: 1Kor 3,1; Eph 4,14; Röm 2,20; Lk 10,21; Hebr 5,13; Gal 4,1-3; Mt 11,25; 21,16
-> Erwachsen-/Vollkommensein: Mt 5,48; 1Kor 2,6; 14,20; Phil 3,15; Kol 1,28; 4,12; Hebr 5,12; Eph 4,13
1Kor 13,12 2. bildlicher Vergleich: Geheimnisse gegen klares Bild
-> siehe dazu:
-> Geheimnisvolles: Hebr 10,1; Kol 2,16f; Hebr 8,5
-> von Angesicht zu Angesicht: 5Mo 5,4-5; 4Mo 12,6-8; 1Mo 32,31
1Kor 13,13 Glaube, Hoffnung und Liebe bleiben, obwohl Weissagung, Sprachenrede und Wissensoffenbarungen aufhören
-> Glaube (Hebr 11,1) und Hoffnung (Röm 8,24) beziehen sich auf Nichtsichtbares, also kann unmöglich von der Wiederkunft oder der Begegnung mit dem Herrn die Rede sein.


Das alles hat natürlich in erster Linie nicht zu bedeuten, dass wir jetzt alles verstehen und den ultimativen Durchblick haben. Aber es ist eine Mahnung, dass alle Wahrheit in den biblischen Schriften niedergelegt ist und wir daraus völlig informiert sind mit dem, was wir wissen müssen, um die Errettung und den Willen Gottes zu erkennen.
"bis wir alle zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, zur vollkommenen Mannesreife, zum Maß der vollen Größe des Christus" (Eph 4,13)
"Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Belehrung, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes ganz zubereitet sei, zu jedem guten Werk völlig ausgerüstet." (2.Tim 3,16-17)

Darum lasst uns kämpfen, auf dass wir uns nicht von falscher Demut bremsen lassen!
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Re: Alles nur Stückwerk?

Beitragvon RChap am Mi 30. Mär 2011, 03:53

Ein guter Kommentar wider die oftmals ängstliche Geisteshaltung, dass wir als Menschen fehlerhaft sind in all unserer Erkenntnis und deshalb auch anderen gegenüber keine Verantwortung haben. Unsere menschliche Erkenntnis ist zwar fehlerhaft, die Offenbarung Gottes aber fehlerlos -

"Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, gekommen ist, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten."
One Way. One Truth. One Life.
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Re: Alles nur Stückwerk?

Beitragvon Robert am Sa 9. Apr 2011, 11:41

Vielen Dank lieber Schween . Darf ich das benutzen / veröffentlichen in anderen Foren?
Liebe Grüße Robert
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Re: Alles nur Stückwerk?

Beitragvon schween am Sa 9. Apr 2011, 20:45

Nur zu, es kann ja nur zum Nachdenken und Nachstudieren anregen.

Viel zu viele nehmen es als selbstverständlich hin, dass mit dem Vollkommenen der Neue Himmel o. ä. gemeint ist, weil man es eben so gelernt hat oder erzählt bekommt. Ich gehörte ja auch zu diesen Unkritischen. Aber wenn man diesen Text mal im Rahmen der Gesamtlehre der Bibel erforscht - was relativ aufwendig, aber sehr erbaulich ist -, finde ich den biblischen Befund gradezu unzweideutig klar.
Was sollte uns Paulus auch schreiben, dass einzelne Gnadengaben erst aufhören, wenn für uns eh alles schon entschieden ist; warum nennt er gerade diese und sagt nicht alle Geisteswirkungen; welche Warnung, welchen Sachverhalt wollte er uns dann vermitteln?!

Jesus Christus war Gottes letztes Wort an die Menschen (Hebr 1,1-2), jetzt ist alles völlig klar, jetzt gilt es zu entscheiden, das Evangelium ist voll ausgerichtet. Wenn man den Text so versteht, bremst er nicht mehr das Bibelstudium, sondern er fördert es vielmehr.
Der Wille Gottes ist jetzt vollkommen offenbart, jetzt gilt es für jeden einzelnen Menschen zu reagieren!
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Re: Alles nur Stückwerk?

Beitragvon Za'ir am So 10. Apr 2011, 10:12

Hallo "schween"!

Ich finde so etwas immer sehr interessant, auch wenn ich selbst - alleine schon deshalb, weil ich nicht bibelfest bin - keine Zeit habe, mich mit den Originalsprachen, aus denen übersetzt wurde, zu beschäftigen. Bibelgriechisch und Latein spreche ich sowieso nicht, und um diese Sprachen zu lernen, bräuchte ich Kraft, die ich lieber in ein "gewöhnliches" Bibelstudium einfließen lasse. Allerdings spreche ich hebräisch, so daß mir schon auffällt, wie wichtig es ist, nicht zu sehr umzuformulieren oder übersertzungsmäßige Kompromisse zu bemühen, wenn es schlichtweg nicht nötig ist, da die Originalsprache sich sehr wohl oft wortwörtlich übersetzen läßt, ohne für den Unkundigen in der Muttersprache so "kantig" sein zu müssen, daß er am Ende unverständig zurückbliebe. Nun möchte ich mich nicht mit Luther oder den Übersetzern der Elberfelder Bibel auf eine Stufe stellen, frage mich aber schon so manches Mal, warum es eben zu "dieser" oder "jener" Übersetzung kam, obwohl man offenkundig den sinnvollen Weg hätte gehen können, wobei ich die Übersetzungen natürlich aus der Perspektive eines Laien betrachte und über die Beweggründe der Übersetzer, warum sie es nun "so" übersetzt haben, nichts sagen kann ...
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